Grange des Dîmes-Heiligtum
Ein gallo-römisches Heiligtum
Der Grange-des-Dîmes Tempel, dessen Name auf die einst in dieser Zone befindliche Zehntenscheune zurückgeht, stammt vom Ende des 1. oder vom Anfang des 2. Jh. n.Chr.und ersetzt einen im 1.Jh. n. Chr. erbauten gallo-römischen Vierecktempel (fanum). Der vierseitige Säulenumgang wurde auf der Fassadenseite, im Osten, durch einen viersäuligen Vorbau mit Giebeldach (pronaos) unterbrochen. Charakteristisch sind auch das hohe Podium, über dem sich der Tempel erhebt, und die Freitreppe, die den Zugang zum Vorbau ermöglichte. Innerhalb des umfriedeten Tempelbezirks befanden sich zudem auch ein Altar, ein Brunnen, eine weitere Baukonstruktion mit vier (Holz)Pfeilern sowie ein steinerner Baldachin, der wohl eine Statue schützte.
Das Ganze ist repräsentativ für eine erneuerte Architektur und einen erneuerten Kult, die von einem starken Synkretismus aus einheimischem Hintergrund und römischer Gestaltung geprägt sind.
Der Tempel war vermutlich dem Gott Mercurius Cissonius, dem romanisierten gallischen Gott der Reisenden und der Händler, vielleicht in Verbindung mit den gallischen Lugoves, geweiht; seine Beziehungen zu Iuppiter-Ammon, zu den Flussgottheiten und zu den Medusen, welche die Medaillons der Attika (oberste Wandzone) des Säulengangs schmückten (Motive, die auf augusteische Vorbilder zurückgehen), hängen mit einer Neuinterpretation zusammen, über die wir nur Vermutungen anstellen können. Dieser Sakralkomplex befand sich in unmittelbarer Nachbarschaft der Thermen der Insula 19 und war vielleicht gar mit ihnen verbunden. Der Komplex, der am Rande der ersten Strassenverbindung durch die Stadt errichtet wurde, war offensichtlich die älteste und wichtigste Kultstätte des Handel treibenden Teils der romanisierten einheimischen Bevölkerung. Auf die Bedeutung dieses Bevölkerungsteils weist dieser Tempel hin – in unmittelbarer Nähe des Cigognier-Heiligtums, das die Civitas Helvetiorum dem Kaiserkult geweiht hatte.
Bauzustand in flavischer Zeit (Ende 1. Jh. n.Chr.)
Die konservierten archäologischen Überreste bestehen aus den Fundamenten der Südmauer der cella (10,8 x 9,4 m), einem Teil der Erhöhung des Podiums (20,2 x 20,4 m) samt der Zugangstreppe sowie den Standorten des Altars, des Sodbrunnens und des – teilweise rekonstruierten – Baldachins. Die Rückseite des Podiums ist auf der Nordseite der Avenue Jomini, unter der sich der Rest des Tempels befindet, durch eine gemauerte Markierung aus gekennzeichnet. Der Plan des Tempels ist seit 2006 mit Pflastersteinen auf der Strasse nachgezeichnet. Eine 1992 ausgegrabene Säulenhalle, die den Tempelbezirk im Norden begrenzte, ist nicht mehr sichtbar.
Rekonstruktion
Anhand der erhaltenen Steinblöcke der Erhebung des Podiums (Säulen und Gesims des Säulengangs, Säulen des Vorbaus) lässt sich die Höhe des Ganzen rekonstruieren : das Podium war 1,8 m hoch und trug eine cella in Form eines rund 20 m hohen Turms, der mit einem Dach mit vier Dachflächen bedeckt war; die cella selbst war mit einem niedrigeren Säulenumgang mit einem Attikageschoss und mit einem Vordach umgeben (Durchmesser der Säulen : 0,51 m, Höhe : ca. 4,5 m, Höhe des Gebälkes : 1,16 m); der Säulengang ist fassadenseitig durch einen Vorbau mit 4 Säulen in antis unterbrochen (Durchmesser der Säulen : 0,89 m), darüber ein Giebeldach. Zwei Pfeiler, die eine Blendmauer tragen, stellen die Verbindung zwischen Vorbau und Säulenumgang her; sie lassen gleichzeitig Durchgänge offen, die den Gläubigen das Umschreiten der cella ermöglichen. Zahlreiche Steinblöcke mit reichem Skulpturschmuck sind erhalten und lassen sich auf das Ende des 1. Jh. n.Chr. datieren.
Baumaterialien und Bautechniken
Mauern der cella und Kern des Podiums : Mauerwerk aus kleinen gelben Kalkbruchsteinen; Verblendung des Podiums : grosse Sandsteinblöcke.
Säulen, Gebälk und Attikageschoss : gelber Kalk in Grosverband.
Bodenplatten und Treppenstufen : Sandstein.
Im Innern der cella : vielleicht Spuren einer Bemalung.
Monumentale Dachverzierung : Akroter aus vergoldeter Bronze.