Cigognier

Cigognier-Heiligtum

Cigognier

Tempel des Kaiserkults für ganz Helvetien ?

Bereits die 1939 erfolgte Entdeckung der Goldbüste des Kaisers Marc Aurel in einem Abwasserkanal dieses riesigen Heiligtums legt eine Verbindung mit dem Kaiserkult nahe. In dieselbe Richtung weisen auch der bemerkenswerte Grundriss, der sich an demjenigen des Templum Pacis in Rom orientiert, sowie die ausgeprägte axiale Verbindung mit dem Theater. Wir gehen davon aus, dass die Errichtung des Heiligtums in den letzten Jahren des 1. Jh. n. Chr. als Teil eines Urbanisierungskonzepts erfolgte, in dessen Rahmen die Bevölkerung und die Behörden der civitas Helvetiorum einen Tempel zur Verehrung des Kaiserhauses und allenfalls Jupiters – zweifellos in Verbindung mit romanisierten helvetischen Gottheiten – stifteten.

Rekonstruktion

Ein weiter Innenhof bildete das Zentrum dieses für die Loyalitätsbekundung gegenüber der römischen Staatsmacht wichtigen Heiligtums. Entlang der Mittelachse führte ein mit grossen Steinplatten gepflästerter Weg durch den Hof zum imposanten Tempel, dessen achtsäulige Vorhalle (pronaos) die Blickachse auf der Nordseite dominierte. Der Tempel stand auf einem hohen podium; ebenso die grosse, den Innenhof auf drei Seiten umgebende und an ihrer Basis mit drei sitzstufenartigen Abtreppungen versehene Säulenhalle (Portikus). Eine hohe Mauer schloss das Ensemble nach Süden hin ab; davor lag ein Vorhof. In der Mauer befand sich ein Tor, das axial auf das Theater und auf die neue Verbindungsstrasse vom West- zum Osttor der Stadt ausgerichtet war. Wie die Struktur der einzigen im Originalzustand erhaltenen Säule zeigt, waren die Vorhalle (pronaos) des Tempels und die seitlichen Säulenhallen so miteinander verschränkt, dass ein wohl für Prozessionen genutzter Umgang entstand, wobei offenbar kein direkter Zugang von den Säulenhallen zum Innenhof angelegt wurde. An den Ecken der nördlichen Portikus sind zwei sekundär eingebaute, mit Treppen versehene Eingänge bezeugt.

Cigognier
 

Ein Werk des Kaisers Trajan ?

Mit dem Bau des Heiligtums wurde im Jahre 98 n. Chr. begonnen; dieses Datum ergibt sich aus der dendrochronologischen Analyse der zahlreichen Eichenpfähle, auf denen die Fundamente des gesamten Mauerwerks ruhten. Konzeptuell gehörte der Tempel wohl noch in die Reihe der grossen Bauvorhaben, die auf die Verleihung des Koloniestatus an Aventicum unter Vespasian (71/72 n. Chr.) folgten, aber die Initiative zu diesem umfangreichen Vorhaben und die anschliessende Realisierung sind offenbar erst unter Trajan anzusetzen. Bevor dieser als siegreicher Feldherr von seinem Germanien-Feldzug nach Rom zurückkehrte, um dort offiziell den Kaiserthron zu besteigen, errichtete er das Bauwerk als deutlich sichtbares, monumentales Zeichen für die dauerhafte Befriedung der nördlichen Reichsgebiete.

Ausmasse

Das Cigognier-Heiligtum ist der grösste Tempel von Aventicum.
Gesamtmasse : 111,58 x 118,80 m
Tempel : 42,17 x 27,36 m
Giebelhöhe des Tempels : 23,10 m (davon entfallen 2,40 m auf das Podium)
Säulenhallen : 64,00 x 83,35 m
Traufhöhe der Säulenhallen : 19,50 m (davon entfallen 2,40 m auf das Podium)
Vorhof : 15,14 x 104,58 m.

Cigognier

Nach einem Vorbild in Rom ?

Nicht nur der Grundriss der Anlage, auch die Bautechnik und das verwendete Steinmaterial erinnern an den Luxus der kaiserlichen Bauten in Rom. Die massiven Fundamente, auf Eichenpfählen ruhend und sorgfältig drainiert, bestanden aus kleinen gelben Kalksteinquadern, die Verkleidung des podium und die sitzstufenartigen Abtreppungen der Säulenhallen hingegen aus grünlich-grauem Sandstein. Das sichtbare Mauerwerk des Tempels, die Fassade, die Säulenhallen und der Steinplattenboden im Innern des Bauwerks waren aus Jurakalk gefertigt, der wohl den weissen Marmor der stadtrömischen Bauten imitieren sollte. Für die Verkleidung der Innenwände fand aber auch echter, grösstenteils aus dem Mittelmeerraum importierter Buntmarmor Verwendung. Das gesamte Bauwerk besass einen reichen Skulpturenschmuck; so waren die Gesimsbänder des Tempels mit figürlichem Dekor versehen (zwei solche Gebälkstücke sind seit dem frühen 18 Jh. am Fuss der Südmauer der Stadtkirche Sainte Marie-Madeleine verbaut, ein drittes an der Rue des Alpes 37), während das Gesims der Säulenhallen mit beidseits von kelchförmigen Vasen (Kantharoi) angeordneten Greifen und Meeresungeheuern verziert war. Die Verbindung von den Säulenhallen zur Vorhalle des Tempels (pronaos) war mit facettierten Bögen gestaltet, deren Auflagergesims am oberen Abschluss einen Fries mit Meeresungeheuern aufwies (Spuren an der in situ erhaltenen Halbsäule sind noch sichtbar). Die korinthischen Kapitelle der Kalksteinsäulen waren fein gearbeitet und dürften mit grösster Wahrscheinlichkeit bemalt gewesen sein. Die genaue Aussage dieses recht heterogenen Bildprogramms ist schwierig zu ermitteln, einiges weist auf eine provinziale Ausrichtung mit einem vielleicht helvetisch inspirierten, aber romanisierten und mit dem Kaiserkult verbundenen Pantheon hin. Stilistisch scheinen aber eindeutig klassische Vorbilder zur Anwendung gekommen zu sein.

Neuzeitlicher Name des Tempels

Die sogenannte Storchensäule (franz. «Le Cigognier»), deren Name auf ein ehemaliges Storchennest auf dem Säulenkapitell zurückgeht, erscheint erstmals 1642 auf einem Stich von Matthaeus Merian d. Ä. Im Zuge der Restaurierung der Säule wurde das Storchennest 1978 entfernt.

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