Zur Geschichte
Aventicum, Hauptstadt der Helvetier
Die Stadt kannte eine schnelle Entwicklung ab dem 1. Jh. n.Chr. und wird unter Kaiser Vespasian, etwa 71/72 n. Chr. in den Status einer Kolonie erhoben. Die Blütezeit Aventicums dauert bis in die Mitte des 3. Jh. n.Chr.
Die Gründung der Stadt Aventicum muss eng mit dem missglückten Auszug der Helvetier 58 v.Chr. und ihrer Rückkehr in ihr Stammgebiet zusammenhängen. Der Name selbst ist von jenem der keltischen Schutzgottheit Aventia abgeleitet. Aventicum war die Hauptstadt der Helvetier.
Über das Datum der Stadtgründung wissen wir nichts Genaues. Vermehrt kommen in den letzten Jahren spätkeltische Zeugnisse (1. Jh. v.Chr.) zu Tage: Gräber und Grubeneinfüllungen südwestlich des späteren Stadtgebietes. Weiter südlich gab es in der 2. Hälfte des 1. Jh. v.Chr. eine Siedlung, das Oppidum auf dem Bois-de-Châtel.
Spätestens um 5/6 n.Chr. sind für Avenches eine Hafenanlage und das typisch römische Strassennetz in Gitterform belegt. Mehr als 60 Wohnquartiere (lat. insulae) wurden bis ins 2. Jh. gebaut. Die Stadt besass ein Forum (öffentlicher Platz), verschiedene Badeanlagen (Thermen) und mindestens acht Tempel. Die Nekropolen (Friedhöfe) lagen an den Ausfallstrassen.
Das Baumaterial Stein stammt vorwiegend aus dem Jura. Weite Teile des Stadtgebietes hatten einen feuchten Untergrund. Zur Stabilisierung wurde deshalb der Baugrund oft mit in den Boden getriebenen Eichenpfählen gefestigt. Diese sind meist gut erhalten und erlauben eine genaue Datierung mittels der Dendrochronologie (Jahrringmethode).
Einen ersten Höhepunkt erlebte Aventicum gegen 30-50 n.Chr. unter der Herrschaft der Kaiser Tiberius und Claudius. Davon zeugt eine überlebensgrosse Gruppe von Kaiserstatuen, die das Forum schmückte.
71/72 n.Chr. erhob Kaiser Vespasian, dessen Vater und Söhne einen Teil ihres Lebens in Aventicum verbracht haben, die Stadt in den Rang einer Kolonie mit dem Namen Colonia Pia Flavia Constans Emerita Helvetiorum Confoederata. Damals wurde mit dem Bau der 5,5 km langen Stadtmauer begonnen, die ein Gebiet von 228 ha umfasst. Ebenso wurden das Theater, das Amphitheater und das Cigognier-Heiligtum, drei charakteristisch römische Typen öffentlicher Gebäude, errichtet.
Fern von der Reichsgrenze und den politisch kritischen Regionen erlebte Aventicum seine Blütezeit bis an den Anfang des 3. Jh. Die Alamanneneinfälle von 275 n.Chr. beschädigten die Stadt beträchtlich. Eine Bautätigkeit ist noch im 4. Jh. zu verzeichnen, so etwa der Umbau des Theaters zu einem Festungswerk.
Die Bevölkerung von Aventicum stammte vermutlich zum grössten Teil von den Helvetiern ab. Deren Oberschicht hatte wohl ihren Status behalten können. Ihre Angehörigen waren als erste zu römischen Bürgern gemacht worden. Sie waren somit nicht nur Träger der Romanisierung, sondern garantierten auch eine gewisse politische Stabilität.
Bis ins 6. Jh. war Avenches Bischofssitz. Im 7. Jh. tritt der neue Ortsname Wibili auf, der später zu Wiflisburg wurde.
Das Interesse an den archäologischen Resten der Römerstadt Aventicum erwachte im 16. Jh. Vereinzelt wurden Ausgrabungen seit dem 18. Jh. durchgeführt, systematisch aber erst nach der Gründung der Association Pro Aventico 1885.
Das Römermuseum wurde 1824 gegründet. Seit 1838 befindet es sich in diesem mittelalterlichen Gebäude, das im 11. Jh. mit den Steinen des Amphitheaters auf diesem antiken Monument errichtet wurde.
Das römische Reich
Aus der kleinen 753 v.Chr. gegründeten Siedlung Rom entstand innerhalb von 800 Jahren ein Weltreich. Um 300 v.Chr. war die Herrschaft über Italien erreicht. Um 50 v.Chr. waren grosse Teile Europas, des Nahen Ostens und Nordafrikas einverleibt. 117 n.Chr. war die grösste Ausdehnung erreicht. Grosse Teile des Reiches waren mit einer bewachten Grenzbefestigung (Limes) gegen die Nachbarvölker geschützt.
Die Beherrschung der von Rom eroberten Gebieten beruhte auf fünf Pfeilern, auf der Armee, einer einheitlichen Gesetzgebung, einer einheitlichen Verwaltung, einer Einheitswährung und einer offiziellen Sprache – Latein im Westen, Griechisch im Osten.
Klimatische Unbill, wirtschaftliche und politische Krisen leiteten im 3. Jh. den Niedergang ein, der im Jahr 476 mit dem Zusammenbruch des Römischen Reiches endete.
Die römische Zivilisation blieb weiterhin rund tausend Jahre in Europa lebendig. Latein war bis ins 16. Jh. die gemeinsame Sprache der Gelehrten. Das römische Recht liegt vielen heutigen Gesetzen zu Grunde. Der römische Kalender ist mit wenigen Veränderungen immer noch in Kraft.
Die Schweiz zur Römerzeit
Spätestens 15 v.Chr. war das Gebiet der heutigen Schweiz ins Römische Weltreich einverleibt, verteilt auf fünf verschiedene Provinzen: Graubünden und grosse Teile der Ostschweiz lagen in der Provinz Rätien, das Tessin sowie die Bündner Südalpentäler gehörten zu Oberitalien, das Wallis zu den sogenannten Alpenprovinzen und Genf zur Gallia Narbonnensis. Das Mittelland zwischen Jura und Alpen (Gebiet der Helvetier) sowie die Region Basel (Gebiet der Rauraker) gehörten zuerst zur Gallia Belgica, dann zur Germania Superior.
Wichtige Süd-Nord-Routen (die Passstrasse über den Grossen St. Bernhard und die Bündner Pässe) und eine Hauptverkehrsweg in Richtung West-Ost (durch das Mittelland) durchquerten das Gebiet der heutigen Schweiz. Hinzu kamen die Wasserwege, von denen jener vom Neuenburger- und Murtensee her bis in die Nordsee durchgehend war, jener vom Genfersee bis ins Mittelmeer. Diese Verkehrsachsen dienten den Truppenverlagerungen, dem Personenverkehr, dem Lokal- und dem Fernhandel.
Während des 1. Jh. war eine Legion (6‘000 Soldaten und Hilfstruppen) im Legionslager in Vindonissa (Windisch, Kanton Aargau) stationiert.
Neu war die Siedlungsform der Stadt. Städte befanden sich in Nyon (Colonia Iulia Equestris), Augst (Augusta Raurica), Martigny (Octodurum) und Avenches (Aventicum). Von den Städten hingen grössere Siedlungen ab und von beiden eine Vielzahl von Gutsbetrieben.
Neu war auch die Bauweise mit Stein. Zuerst wurde sie für öffentliche Bauten angewendet, sie setzte sich aber allmählich auch im Wohnbau, in kleineren Siedlungen und bei den Gutshöfen durch.
Die Landwirtschaft bildete die ökonomische Grundlage. Hinzu kamen bestimmte Handwerkszweige, die manchmal industrielle Ausmasse annehmen konnten. Der Anschluss an den Fernhandel brachte Importe zahlreicher, früher unbekannter Produkte, im Bereich der Ernährung etwa das Olivenöl, die Fischsauce, Datteln und Austern.
Zeittafel
Gründung von Rom | 753 v. J.-C. | |
509 v.Chr. | Gründung der römischen Republik | |
Ausdehnung des Römischen Reiches (Italische Halbinsel, Iberische Halbinsel, Griechenland, Teile von Kleinasien und Nordafrika) | 3.-1. Jh. v.Chr. | |
58 v.Chr. | Missglückter Auszug der Helvetier und Schlacht bei Bibracte gegen Julius Caesar | |
Eroberung Galliens | 58-51 v.Chr. | |
27 v.Chr.-14 n.Chr. | Beginn der Kaiserzeit und Kaiser Augustus | |
Eröffnung der Strasse über den Grossen St. Bernhard | 25 v.Chr. | |
16/15 v.Chr. | Eroberung der Alpengebiete | |
Bisher älteste gebaute Strukturen der Stadt Aventicum | 5/6 n.Chr. | |
14-101 n.Chr. | Legionslager Vindonissa (Windisch, Kanton Aargau) | |
Eroberung Britanniens unter Kaiser Claudius | 43 n.Chr. | |
71/72 n.Chr. | Aventicum unter Kaiser Vespasian wird zur Koloniestadt erhoben: Colonia Pia Flavia Constans Emerita Helvetiorum Foederata | |
Grösste Ausdehnung des Römischen Reiches unter Kaiser Trajan | 117 n.Chr. | |
2. Jh. n.Chr. | Blütezeit Roms und seiner Provinzen | |
Alamanneneinfälle im Helvetiergebiet, grosse Zerstörungen | 275 n.Chr. | |
4. Jh. n.Chr. | Älteste christliche Zeugnisse aus Aventicum | |
Teilung des Römischen Reiches in ein Ost- und ein Westreich | 395 n.Chr. | |
476 n.Chr. | Ende des Römischen Reiches | |
Aventicum ist Bischofssitz | 6. Jh. | |
592 n.Chr. | Der letzte Bischof in Avenches, Marius, wird nach Lausanne versetzt | |
Avenches wird auch Wibili genannt, das später zum deutschsprachigen Wiflisburg wird | 7. Jh. | |
Ab 11. Jh. | Bau der noch sichtbaren mittelalterlichen Stadt Avenches |