Stadtmauer
Symbol für den Kolonie-Status
Mit ihren Toren, Türmen und zinnenbesetzten Wehrgängen verkörperten die Stadtbefestigungen den politischen Status zahlreicher antiker Städte. Die Stadt Aventicum legte sich eine solche Prestigearchitektur erst zu, als sie 71/72 n. Chr. in den Rang einer Kolonie erhoben wurde. Damit verstärkte sie ihre visuelle Wahrnehmbarkeit in der Landschaft und definierte gleichzeitig die Grenzen ihres Territoriums, das nun weit über die bereits erbauten oder zumindest geplanten Wohnquartiere hinausreichte, neu.
Ein überdimensioniertes Projekt
Die Stadtmauer umgrenzte ein Gebiet von rund 230 ha und war über 5,5 km lang. Sie folgte im Süden dem Kamm des Hügels der Gemeinde Donatyre, umfasste im Westen den heutigen Stadthügel von Avenches, grenzte im Norden an das damalige Sumpfgebiet in der Talebene und folgte im Osten dem nach Süden hin ansteigenden Gelände. Diese riesige ummauerte Fläche war primär durch vermutlich vier Haupttore erschlossen, von denen heute allerdings nur das Ost- und das Westtor bekannt sind; zudem existierten ein kleines, einfaches Tor im Nordosten und mehrere Schlupfpforten. Zum Bauwerk gehörten ausserdem 73 auf der Stadtseite an die Wehrmauer angebaute Türme, die unter anderem den Zugang zu den Wehrgängen gewährleisteten. Mehrere Mauerstücke sind noch als Ruinen erhalten, und zu beiden Seiten des Osttors sind unter Einbezug der Tornallaz, eines im Mittelalter weiterverwendeten Turms der Stadtmauer, kurze Abschnitte in den 1920er Jahren rekonstruiert worden. Einzelne Überreste und deutliche Spuren des Bauwerks sind nach wie vor vielerorts im Gelände zu erkennen, so dass sich der Mauerverlauf auch heute noch recht gut in der Landschaft ablesen lässt.
Militärische Verteidigung oder städtisches Prestige ?
Die Wehrmauer besass im Fundamentbereich eine Dicke von rund 3 m und verschmälerte sich im Aufgehenden auf 2,4 m Stärke. Bekrönt wurde die 5 m hohe Mauer von einem Wehrgang, der mit 2 m hohen und 1,9 m langen, rechtwinklig abgeknickten Zinnen (sog. Belisar- oder Winkelzinnen) bestückt war. Die Türme, die vorwiegend als Treppenhäuser dienten, ragten geringfügig über die Kurtine hinaus, wiesen in dieser Zone einen kreisförmigen Grundriss mit einem Aussendurchmesser von 6,90 m auf und erreichten eine Höhe von 10,80 m. Im unteren Bereich, wo sie an die stadtseitige Verblendung der Wehrmauer angebaut waren, bildeten die 1,2 m mächtigen Turmmauern dagegen einen hufeisenförmigen Grundriss. An der Aussenseite der Mauer entlang verlief in einem Abstand von 2 m zum Mauerfuss ein 3,8 m breiter und 1,6 m tiefer Spitzgraben Einzig in der sumpfigen Ebene, wo die Mauerfundamente auf Eichenpfählen ruhten, die sich dendrochronologisch (Holzjahrring-Methode) in die Jahre 72–79 n. Chr. datieren liessen, fehlte dieser Graben. Obwohl die Stadtmauer ihrer Konzeption und ihrem Aussehen nach ein militärisches Bauwerk darstellte, kam sie wohl nur in ganz seltenen Fällen tatsächlich als Verteidigungswerk zum Einsatz. Sicherlich trug sie auch dazu bei, die polizeiliche Überwachung der Stadtzugänge zu unterstützen, ihre primäre Funktion bestand aber wohl darin, das Prestige von Aventicum als Hauptstadt der Helvetier weithin sichtbar zu machen.
Eine Baustelle monumentalen Ausmasses
Die Verblendungen der Stadtmauer waren aus gelben Kalkstein-Handquadern errichtet (opus vittatum), deren Masse geringfügig grösser waren als bei dem üblicherweise in Aventicum anzutreffenden Kleinquader-Mauerwerk. Aus Muschelkalkstein bestanden lediglich die Abdeckungen der Zinnen und die Plattenbeläge der Wehrgänge. Etwa 200'000 m3 Jurakalkstein mussten in grossen Quadern vom Nordufer des Neuenburgersees auf Lastkähnen zum Flusshafen von Aventicum transportiert werden, ehe sie dort in kleinere, besser zu handhabende Blöcke zerteilt und auf Fuhrwerken zu den verschiedenen Bauabschnitten verbracht werden konnten. Auf dem Bauplatz richteten die Steinmetzen die Blöcke schliesslich zu handlichen, annährend rechteckigen Bausteinen, sogenannten Handquadern zu, mit denen man die Verblendung der Mauer erstellte..Der Kern der Wehrmauer bestand aus Kalkstein- und Muschelkalksteinabschlägen, die mit Kalkmörtel gebunden waren. Ausgehend von den Kapazitäten des Hafens und der verwendeten Lastkähne gelangte man zu Annahme, dass der gesamte Mauerbau etwa 12 Jahre gedauert haben dürfte. Nicht bekannt ist dagegen, wie hoch die Kosten eines derart gigantischen Bauvorhabens waren, wer dafür aufkam und unter wessen Leitung das Projekt realisiert wurde.