Die Religion
Die orientalischen Kulte
Um die Mitte des 2. Jhs. n.Chr. verlor die keltische Religion ihre Anziehungskraft und konnte die Erwartungen der Gläubigen nicht mehr befriedigen. So erklärt sich auch der Erfolg der neuen, aus dem Osten stammenden Religionen, die es verstanden, die Ängste der Menschen zu besänftigen und die auch den Schwächsten und Ärmsten ein glückliches Leben im Jenseits in Aussicht stellten.
Während den Kulten der ägyptischen Götter Isis und Serapis, des Iuppiter Ammon oder des Sabazius in Gallien ein etwas geringerer Erfolg beschieden war, konnten die Mysterienkulte der Cybele, des Attis und des Mithras zahlreiche Anhänger auf sich vereinigen.
Römische Religion
Die Römer verehrten zahlreiche Götter sowohl im öffentlichen Leben als auch im häuslichen Bereich. Die römische Religion war sehr komplex, da sie neben den alten römischen Kulten auch griechische und etruskische Elemente in sich vereinte, die nicht immer klar voneinander zu trennen sind. Neben zahlreichen kleineren Gottheiten standen allen voran die Hauptgötter, allen voran Kapitolinische Trias mit Iuppiter, Iuno und Minerva; weitere sehr beliebte Götter waren Mars, Venus, Apollo, Merkur und Bacchus.
In den Provinzen sind Religion und Mythologie nie rein römisch. Vielmehr sind römische und einheimische Götter miteinander verschmolzen. Ob es nun die Römer waren, die die angefundenen einheimischen Götter den ihren gleichsetzten, wie es Iulius Caesar im Fall von Gallien tat, oder ob es umgekehrt war, ist schwer zu sagen.
Ein gutes Beispiel für diese Verschmelzung sind Inschriften, in denen der alte keltische Göttername als Beiname neben dem Namen der römischen Gottheit erscheint, wie z. B. Mercurius Cissonius, Mars Gradivus oder Mars Caisivus.
Iuppiter ist der oberste Himmelsgott. Er wird von Caesar unter den fünf Hauptgottheiten Galliens angeführt. Sein Kult ist in unserer Region durch Inschriften und zahlreiche Darstellungen gut belegt. Eine der am weitesten verbreitete zeigt ihn als Reiter mit dem Blitzbündel in der Hand über einen besiegten Giganten dahinsprengend. In Aventicum wurde eine Säule gefunden, die von einer solchen Gruppe bekrönt war. Iuppiter wird hier als der Himmelsgott verehrt, der die Mächte der Unterwelt besiegt hat.
Merkur ist der Schutzgott der Reisenden und der Gewerbetreibenden, bei den Galliern gilt er als der Erfinder aller Künste. Nach Julius Caesar war er der Hauptgott der Gallier. Man erkennt Merkur an seinem Reisehut (petasus), der mit kleinen Flügeln versehen ist, die manchmal auch in den Haaren sitzen, des weiteren an seinem Stab (caduceus) und am Geldbeutel, den er mit einer Hand fest umschlossen hält.
Bacchus ist der Gott des Weines. In seinem Gefolge befinden sich Silene, Satyrn und Mänaden. Sein Kult scheint in unserer Gegend wenig verbreitet zu sein. Bildwerke mit bacchischer Thematik sind jedoch keineswegs selten. Bacchus ist erkennbar an den Weintrauben und an den Weinblättern, die seine Haare schmücken.
Minerva ist die Göttin der Gerechtigkeit und der Weisheit. Wie Julius Caesar schreibt, wurde sie von den Galliern als Schutzgöttin des Handwerks verehrt. Darstellungen der Göttin folgen alle dem gleichen, alten griechischen Bildschema: sie trägt einen Helm, die Ägis mit dem Haupt der Medusa, eine Lanze und einen Schild.
Apollo, zuständig für die Künste und die Musik, gilt bei den Römern ebenso wie bei den Galliern auch als Heilgott. Man findet ihn in dieser Funktion vielfach in Zusammenhang mit Heilbädern oder Thermen. In Aventicum wird sein Name in einer Weihinschrift für Ärzte erwähnt.
Mars gehört als Kriegsgott zu den fünf grossen Göttern der Gallier. Wird er auch vergleichsweise weitaus seltener dargestellt als Merkur, so begegnet uns sein Name doch in zahlreichen Inschriften, assoziiert mit einer Vielzahl von Beinamen keltischen Ursprungs.

Mars Gradive pate[r--- /hanc patriam civ[esque---]/inclute bellator[---/
imperio monitus m[erito---?]/Sex(tus) Tetricius donum [dedit---?].
"Mars Gradivus, Vater … meine Heimat und seine Bürger, … berühmter Krieger; verdientermassen berufen zur Ordnung(?), (bringt dir) Sextus Tetricius (dies) als Geschenk".
Statue der Göttin Minerva
Kopf, rechter Unterarm, Medusenhaupt, Füsse und Finger der linken Hand aus Marmor.
Ursprüngliche Höhe der Statue: 2,80 m.
Sogenannte Akrolith-Statue. Nur die sichtbaren Körperteile sind aus Marmor gearbeitet. Der Kern der Skulptur bestand wahrscheinlich aus Holz und war durch ein Stoffgewand bedeckt. 2. Jh. n.Chr.?
Mythologische Figuren
Herkules wird mit dem keltischen Gott Ogmios gleichgesetzt, der dieselben Attribute, nämlich Löwenfell und Keule, besitzt. Vom Aussehen unterscheidet sich Ogmios nur dadurch, dass er etwas älter als Herkules dargestellt wird.
Die Dioskuren, eine andere Bezeichnung für Castor und Pollux, genossen in Gallien besondere Verehrung als Gestirnsgötter und als Beschützer der Seeleute und der Reiter.
Schutzgötter des Hauses und ihre Kulte: Lararien und Hauskapellen
Eine besondere Rolle im Leben der Römer spielten die Laren und Penaten, die Schutzgottheiten über Heim und Herd. Die Hauskapelle, das Lararium, befand sich meist im Zentrum des römischen Hauses, im atrium. Das Familienoberhaupt vollzog während der Hauptmahlzeit das Gebet vor dem Lararium, in dem Statuetten verschiedener Gottheiten aufgestellt waren. Darunter befanden sich meist mindestens ein Lar und manchmal auch das Porträt eines Ahnen.
Ein reichbestücktes Lararium, das in einem Privathaus in Aventicum gefunden wurde, ist im 2. Stock ausgestellt.
Die einheimischen Götter

Die keltische Religion war ebenso polytheistisch wie die römische. Da wir jedoch über keine keltischen religiösen Texte verfügen, müssen wir uns mit den Ausführungen von Julius Caesar in seinem "Gallischen Krieg" (Buch VI, 17) begnügen, in denen er die wichtigsten fünf Götter der Gallier aufzählt und kurz beschreibt. Dabei verlieh er ihnen die Namen der römischen Götter, die ihm hinsichtlich ihrer Eigenschaften am besten vergleichbar erschienen: Merkur, Apollo, Mars, Iuppiter und Minerva.
Daneben gab es jedoch zahlreiche weitere keltische Gottheiten, die auch noch nach der Romanisierung verehrt wurden. Zum Teil kennen wir ihre Namen oder Wirkungsbereiche nicht. Einige finden sich im gesamten von den Römern beherrschten keltischen Raum, wie Sucellus, Epona oder Lug; andere wiederum waren offenbar lokale Gottheiten, wie Anechtlomara oder Aventia, die die namengebende Göttin von Aventicum ist.
Unter den Römern herrschte weitestgehend Religionsfreiheit, lediglich der Kaiserkult war den Provinzen auferlegt; er diente in erster Hinsicht dazu, die Loyalität gegenüber Rom zu demonstrieren.
Anechtlomara bedeutet: die grosse Beschützerin. Sie steht den Gottheiten des Wohlstands und Reichtums nahe.
Der hilfreiche Geist im Kapuzenmantel (genius cucullatus) trägt ein typisch keltisches Gewand. Sein Wirkungsbereich liegt vor allem in der Fruchtbarkeit und Heilkunst; er geleitet auch die Toten ins Jenseits.
Epona, die Göttin der Pferde erfreute sich grösster Beliebtheit bei Reitern und vor allem bei Soldaten. Man kann sie mit keiner römischen Gottheit in Verbindung bringen. Sie wird immer als Amazone auf dem Pferd dargestellt.
Weibliche Gottheiten der Fruchtbarkeit und des Wohlstands: Sie werden ganz unterschiedlich dargestellt. Es gibt den Typus der nackten jungen Frau, deren Darstellungsweise jener der Venus entspricht, und den Typus der reifen Frau mit Füllhorn, in Anlehnung an die Darstellungen der Göttin Fortuna; diese Gottheit kann auch als Mutter oder Amme mit einem säugenden Kind an der Brust erscheinen.
Der dreigehörnte Stier ist in Gallien weit verbreitet. In ihm kommt durch das dritte Horn die Kraft der Fruchtbarkeit symbolisch zum Ausdruck.
Sucellus, " der gute Hämmerer ", hält in der einen Hand einen Hammer und in der anderen ein Gefäss; neben ihm steht ein Hund. Einige Darstellungen zeigen ihn darüberhinaus noch mit einer Tonne oder Amphore. Sucellus ist der Gott der Wälder und wird in einigen Gegenden mit Silvanus gleichgesetzt. Er war aber offenbar auch der Schutzgott der Handwerker.

Diese Weihgaben wurden zusammen mit einem kleinen Steinaltar
mit einer Weihinschrift für Mercurius Cissonius entdeckt
Das Christentum
Es ist nicht bekannt, zu welchem Zeitpunkt die christliche Religion im Gebiet der Helvetier eibgeführt wurde. Ein einziges frühes Zeugnis sind die Ritzinschriften auf zwei Gläsern, die zu den Grabbeigaben einer jungen, gegen Mitte des 4. Jhs. Verstorbenen Frau gehörten. Später, im 6. Jh., war Avenches Sitz eines Bischofes; der letzte Bischof, Marius, wurde 594 nach Lausanne versetzt.
Die Heiligtümer von Aventicum
Nicht weniger als sieben Tempel liegen im Bereich zwischen dem Stadthügel von Avenches und dem Theater.
Ein weiterer Tempel befand sich auf dem Forum, zwei andere sowie ein kleinerer Kultbau befanden sich bei der Nekropole von En Chaplix, östlich der Stadt.
Der Kaiserkult hatte sehr wahrscheinlich seinen Sitz im Cigognier-Heiligtum, wo auch die Goldbüste des Marc Aurel gefunden wurde. Welchen Gottheiten dieser und die anderen Tempel geweiht waren, wissen wir nicht.